Titel: Ehrung Elfriede Jelinek


Datum/Zeit: 09/12/2023 04:46 PM


Meldungstext: OTS156 5 CI 0993 NRK0011 KI 12.Sep 23

Kommunales/Wien/Jelinek/Ehrenbürger/Ehrung

Ehrung Elfriede Jelinek
Utl.: Wiens Bürgermeister Ludwig überreichte Elfriede Jelinek die
Ehrenbürgerschaft. Kulturstadträtin Kaup-Hasler hielt die
Laudatio: „Du bist unverkennbar Wienerin“ =

Wien (OTS/RK) - Wiens Bürgermeister Michael Ludwig überreichte der
österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am
Dienstag die Ehrenbürgernadel der Stadt Wien. Die Laudatio hielt die
Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.


In seinen Begrüßungsworten an die neue Ehrenbürgerin Wiens meinte
der Stadtchef: „Elfriede Jelineks Literatur - egal, ob Essay, Roman
oder Dramatik – ist nie bloß l’art pour l’art, sondern nahm und nimmt
immer auch ganz gezielt auf gesellschaftliche und politische Zustände
und Entwicklungen Bezug. Dadurch zeigen ihre Texte immer Wirkung,
dadurch sind sie immer folgenreich. Das machte sie einerseits zu
einer der erfolgreichsten Autorinnen der Literaturgeschichte – den
Höhepunkt bildete 2004 die Verleihung des Literaturnobelpreises an
Jelinek. Auf der anderen Seite war sie aber auch immer Ziel von
Angriffen und Anfeindungen von konservativer bis reaktionärer Seite
und wurde regelmäßig als ,Nestbeschmutzerin‘, ,Kommunistin‘ oder
,Pornografin‘ denunziert.“


Und Ludwig weiter: „Als sie etwa mit dem Stück ,Burgtheater‘ das
inoffizielle Stillschweigeabkommen durchbrach, das bis dahin
hinsichtlich der Rolle der Familie Hörbiger-Wessely in der NS-Zeit
galt, wurden Sie als ,Staatsfeindin‘, im gleichen Atemzug aber auch
als ,Staatskünstlerin‘ beschimpft. Und im Gefolge der Uraufführung
Ihrer Mozart-Paraphrase ,Raststätte oder Sie machens alle‘ in Claus
Peymanns Inszenierung affichierte die Wiener FPÖ, wie erinnerlich,
das Plakat ,Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk
oder Kunst und Kultur?‘“


„Folgenreich“, so der Bürgermeister, „waren dann auch ihre Stücke
,Stecken, Stab und Stangl‘, in der Regie von George Tabori, wo sie
die Roma-Morde in Oberwart thematisierte; ,Bambiland‘, eine
medienkritische Betrachtung des Irak-Krieges; ,Rechnitz‘, in dem sie
das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im Zuge einer
feuchtfröhlichen Nazi-Party aufgriff; das auf milliardenschwere
Polit-Egomanen à la Donald Trump anspielende Königsdrama ,Am
Königsweg‘ oder ,Schwarzwasser‘, ihre literarische Abrechnung mit der
Causa Ibiza.“


Und Ludwig weiter: „Ihre Romane, mit denen Jelinek nicht weniger
als eine schonungslose Entmystifizierung des romantischen
Liebesideals zwischen Mann und Frau anstrebte und der
Scheinheiligkeit den Heiligenschein nahm, zeigten nicht weniger
Wirkung als ihre Theaterstücke: Literarische Würfe wie ,Lust‘,
,Gier‘, ,Neid‘ oder ,Die Klavierspielerin‘, kongenial von Michael
Haneke verfilmt, entluden sich wie mächtige Gewitterzellen über der
überrumpelten Leserschaft.“

„Für den Literaturnobelpreis war selbstverständlich die
unvergleichliche Jelinek’sche Sprachmacht ausschlaggebend“, so der
Stadtchef. „Eine der besten Metaphern dafür hat sich die Regisseurin
Claudia Müller einfallen lassen, die ihre Jelinek-Film-Doku auch
gleich so betitelt hat: ,Die Sprache von der Leine lassen‘.
Tatsächlich kenne ich weltweit nur wenige Literatinnen und Literaten,
deren Worte, Sätze und Textflächen – einmal von der Leine gelassen –
so beunruhigend und verstörend sind wie Elfriede Jelineks. Und damit
auch so wirksam und folgenreich.“

Michael Ludwig: „Verdient gemacht hat sich Elfriede Jelinek auch
durch ihre spontane Zivilcourage. So ließ sie etwa bei einer der
regierungskritischen Donnerstagdemonstrationen auf dem Ballhausplatz
einen ,Haider-Monolog‘ (,Das Lebewohl‘) aufführen. Und mit der
Kasperltheater-Montage ,Ich liebe Österreich‘ hat sie ad hoc den
Umgang mit Asylwerberinnen und –werbern in unserem Land kritisiert.
Ich erinnere mich auch noch, als sie 2013, am [Tag der
Menschenrechte]
(https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_der_Menschenrechte), im Rahmen der
Kampagne ,[Stop Watching Us]
(https://de.wikipedia.org/wiki/StopWatchingUs)‘ gegen die
systematische Überwachung im Internet durch Geheimdienste
protestierte. Darüber hinaus nimmt sie auf Ihrer heftig
frequentierten Homepage sehr persönlich und wortreich Stellung zu
Aktuellem und Brisantem: etwa zum abscheulichen Attentat auf Salman
Rushdie.“

Für den Wiener Bürgermeister ist Elfriede Jelinek „eine Frau mit
Eigenschaften. Und all diese Eigenschaften machen sie zur Citoyenne.
Und das bedeutet nicht nur Bürgerin. Der Citoyen und die Citoyenne
sind Bürgerinnen und Bürger, die im Geiste des Jahrtausendprojekts
der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen, der
Civitas, teilnehmen und diese mitgestalten. Und dieser Definition
entspricht Elfriede Jelinek so tausendprozentig, dass ich als
Bürgermeister die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien für die
österreichische Literaturnobelpreisträgerin beantragt und der Wiener
Gemeinderat sie beschlossen hat.“

Michael Ludwig: „Damit befindet sich die neue Ehrenbürgerin Wiens
in bester Gesellschaft: etwa mit Billy Wilder, Teddy Kollek, Eric
Pleskow, Eric Hobsbawn, Eric Kandel, Carl E. Schorske, Friederike
Mayröcker oder Hugo Portisch. Ich gratuliere Elfriede Jelinek dazu
mit größter Sympathie und von ganzem Herzen!“

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler betonte in ihrer sehr
persönlichen Laudatio die politische Ebene im literarischen und
dramatischen Werk der Nobelpreisträgerin: „Schlagend führst Du vor,
dass Auseinandersetzung mit und Kritik von Politik, Gesellschaft und
Kultur zu allererst eine Auseinandersetzung mit Sprache und jenen
Sprachregelungen, Floskeln, Beschwichtigungsformeln und Werbeslogans,
die uns umgeben, sein muss.“

Und Kaup-Hasler weiter: „Du hast einen unglaublichen Instinkt für
akute Themen. ‚Die Wirklichkeit‘, so beschreibst Du es, sei ‚die
Vorgesetzte der Autorin, auch wenn sie die kaum je zu sehen kriegt‘.
Die Tagesaktualität verwandelst Du in Deiner Welt- und
Sprachwahrnehmung zu einer grundsätzlichen Analyse von politischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen.“

Auch die tiefe Verbundenheit von Elfriede Jelinek mit Wien strich
die Stadträtin in ihrer Laudatio hervor: „In der Tat bist Du zutiefst
mit Wien verbunden. Das zeigt sich ja auch in der Tatsache, dass Du –
nachdem Du seit dem Nobelpreis sämtliche Ehrungen ausgeschlagen hast
– zur heutigen Ehrung als Ehrenbürgerin der Stadt Wien ja gesagt hast
mit der empathischen Begründung ‚Ich liebe ja diese Stadt. Das ist
meine Stadt. Da komm ich doch her – und meine ganze Familie.‘

Und die Kulturstadträtin abschließend: „Es ist vor allem Deine
wunderbare Beherrschung des Wiener Schmähs, dieses einzigartig
bösartigen und zugleich selbstironischen Humors, mit dem Du
dünkelhaftem Bürgertum ebenso begegnest wie dem Jugendwahn eines Jörg
Haider oder der grassierenden Ausländerhetze. Hier steckst Du –
unverkennbar Wienerin – in der Tradition und dem Sprachwitz eines
Nestroy, der Wittgenstein‘schen Sprachphilosophie und der
sprachlichen Virtuosität der Wiener Gruppe. Es ist uns eine Ehre,
Dich in dieser Stadt zu wissen.“

Elfriede Jelinek bedankte sich „gerührt“ für die Ehrung. „Diese
Auszeichnung ist die einzige, die ich seit dem Literaturnobelpreis
annehme. Denn ich fühle mich verbunden mit der Tradition des Roten
Wien. Man muss diese Stadt mit ihrer Multikulturalität und ihrer
Integrationskraft hochhalten.“

Bürgermeister Ludwig führte ins Treffen, dass jüngst sogar die
„New York Times“ Wien als „realisierte Utopie“ bezeichnet habe.

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